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Gänsegeier

Gänsegeier (Gyps fulvus)

Hochkonzentriert segle ich mit ausgebreiteten Flügeln über die Insel Cres (Kroatien). Mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,70m gehöre ich zu den größten Vögeln der Welt und bin größer als die meisten Adler. Unter mir ziehen das Meer, karge steinige Flächen, dichtes Gestrüpp, flache Bäume, und Schafe dahin.

Ich habe Hunger und bin auf der Suche nach Nahrung. Aufmerksam tasten meine Augen und meine Nase den Boden ab, immer auf der Suche nach meiner nächsten Mahlzeit – einem Tierkadaver. Wir Gänsegeier erlegen keine eigene Beute, sondern sind auf verendete Weidetiere angewiesen. Bis zu 8 Stunden bin ich täglich unterwegs auf Nahrungssuche. Ich bin nicht allein. In Sichtweite zu meiner Linken und Rechten segeln andere Gänsegeier meiner Kolonie mit mir. So können wir ein möglichst großes Areal abdecken. Dennoch sind schon ein paar Tage vergangen, an denen wir keinen Erfolg hatten. Mein Magen knurrt und ich denke an meinen Partner und mein Kleines, welche im Nest geduldig und ebenfalls hungrig auf mich warten.

Plötzlich steigt mir ein Hauch von Verwesung in die Nase. Ich beginne zu kreisen, meine Augen immer auf den Boden gerichtet. Und tatsächlich entdecke ich ein totes Schaf. Ohne zu zögern, gehe ich im Sturzflug mit 120km/h pro Stunde zu Boden. Meinen Artgenossen ist dies natürlich nicht entgangen und sie folgen mir. Und dann beginnt das große Fressen. Keine falsche Bescheidenheit am Buffet – wir schlingen bis zu 20% unseres eigenen Körpergewichtes hinunter. Schließlich wissen wir nie, wann es die nächste Mahlzeit geben wird. Manchmal verschlinge ich so viel, dass ich wieder etwas auswürgen muss, um mich erneut in die Lüfte schwingen zu können.

Mit gefülltem Magen und gefülltem Kropf begebe ich mich dann zu meiner kleinen Familie. Dort würge ich einen Teil der Nahrung wieder hoch, um mein Kleines zu füttern. Vor lauter Ungeduld steckt es seinen Kopf direkt in meinen Hals, um so schnell wie möglich an etwas Essbares zu kommen.

Die nächsten Tage werde ich bei unserem Kleinen bleiben und mein Partner wird auf Nahrungssuche gehen. So geht es im Wechsel, bis unser Kleiner flügge wird und das Nest verlässt. Sobald er selbständig ist, verlässt er uns ohne Zögern. Er nutzt seine jugendliche Kraft und Neugier, um für ein paar Jahre die Welt zu entdecken. Dabei sucht er vielleicht auch die bayrischen Alpen auf, um dort einen Sommer zu verbringen. Das ist deine Chance in Deutschland Gänsegeiger zu beobachten. Nach einem Sommer zieht er weiter. Vielleicht nach Afrika. So streift er durch die Welt bis er geschlechtsreif wird und sich verliebt. Mit seiner Partnerin kehrt er schließlich in seine Kolonie zurück und bleibt ihr ein Leben (30-40 Jahre) lang treu. Jahr für Jahr, werden sie selbst Nachkommen großziehen.

PS. Meinen Namen habe ich nicht etwa daher, dass ich eine besondere Vorliebe für Gänse hätte, sondern auf Grund meines langen, dünnen Halses. Zwar sind mein Hals und Kopf nicht wie bei anderen Geiern ganz nackt, aber auch ich habe dort kein klassisches Gefieder, sondern lediglich weiße Dunen (oder auch Daunen). Dunen sind ganz weiche und flaumige Federn, die mich nicht behindern, wenn ich meinen Kopf in den Kadaver eines Schafes stecke. Sie lassen sich außerdem besser reinigen, denn glaubt mir, nach so einer Mahlzeit ist Reinigung dringend nötig.


Steckbrief Gänsegeier

Länge: 95-110 cm

Flügelspannweite: 230-270 cm

Lebensraum: Gebirge - benötigen steile Felswände zum Brüten; trockene und offene Gebiete zur Nahrungssuche

Brutplatz: Höhlen und Nischen an steilen Felswänden, Koloniebrüter (bis zu 100 Paare)

Nahrung: Aas (Tierkadaver): vorwiegend tote Weidetiere: Ziegen, Schafe, Rinder, etc.

In Deutschland kein Brutvogel, juvenile Gänsegeier verbringen regelmäßig den Sommer in den bayrischen Alpen; in Südeuropa zu beobachten (z.B. Iberischen Halbinsel, Südfrankreich, Länder des Balkans)

Bestand: Deutschland: ausgestorben (Rote Liste Deutschland), weltweit: nicht gefährdet (Rote Liste Weltnaturschutzunion, IUCN)

Systematik:

Ordnung: Greifvögel
Familie: Habichtartige
Gattung: Gyps
Art: Gänsegeier